Selma in Uganda

Uganda 2019 April: St. Kizito Primary School

Die Jiajas von Kikyusa

Es ist Sonntag, kurz nach 10 Uhr morgens. Heute nimmt mich Sister Nakalo mit, um Leute zu besuchen. Wir stehen bereits an der staubigen Strasse, Sr. Nakalo hat einen blauen Sack mit kleinen Geschenken über die Schulter geschwungen und winkt ein vorbeifahrendes BodaBoda heran. „Ogenda wa?“ (Where are you going?). Der BodaBoda-Mann zeigt in die eine Richtung und wir steigen auf. Ich sitze eingequetscht zwischen BodaBoda-Mann und Sr. Nakalo und los geht’s.
Etwa nach 2 km biegen wir auf einen kaum befahrbaren Trampelweg ab und links und rechts schlagen ab und zu die hohen Pflanzen gegen die Beine. Wir fahren an Feldern mit Kaffee, Cassava und Ananaspflanzen vorbei, bis wir bei einer Lehmhütte ankommen. Sebastian und Pia. So heissen die beiden Jiajas (Grosseltern) und freuen sich sehr uns zu sehen. Sr. Nakalo hat für Sebastian neue Schuhe mitgebracht, die alten Schuhe fallen ihm nämlich fast von den Füssen, so durchlöchert sind die. Pia ist schnell in ihr Lehmhäuschen verschwunden, um sich extra umzuziehen. Für sie hat Sr. Nakalo Beans mitgebracht. Völlig perplex schaut sie nun die Beans an und sagt, dass sie heute Morgen Beans habe kaufen wollen. Das Geld habe jedoch nicht gereicht. „How did God know that I want beans?“ Wir besuchen auch noch andere alte Leute, manche haben niemanden, der zu ihnen schaut. So etwas wie ein Altersheim gibt es hier nicht.

Zum Thema Armut

Die Armut hier in Uganda ist mit nichts vergleichbar, was man in der Schweiz sieht. Die Schweiz und Uganda sind zwei verschiedene Welten. Das Land der Sisters und deren Schule sind wie eine kleine Oase. Hier bekommt man die Armut nur wenig zu spüren. Die grün-weiss karierte Schuluniformen, die Parkettböden im Kloster aus aufgeklebter Folie, die eiskalte Dusche, der sehr kritische Gasherd, die stabilen Betonwände und der gelegentliche Besuch von einer Eidechse oder einer Kakerlake sind purer Luxus.
Ich habe Familien besucht, die alle in einem Raum von 5×6 Meter zusammenleben. Die Hütten sind zum Teil aus Lehm gebaut. Keine Ahnung wie das hält. Die Kleider werden getragen, bis sie aus mehr Löcher als Stoff bestehen. Die Schuhe werden getragen, bis sie von den Füssen fallen. Viele Menschen leben von dem, was sie anpflanzen. Wenn es also nicht regnet, haben alle ein grösseres Problem. Tag ein, Tag aus wir Posho (weisser Maisbrei) mit Beans gegessen. Ab und zu werden auch Matoke (ein goldgelber Brei aus Kochbanane) oder saisonale Früchte gegessen (Ananas, Mango, Jackfruit).
Nicht alle können es sich leisten, die Schulgebühren zu bezahlen. Die Sisters versuchen jedoch den Leuten so gut wie möglich entgegen zu kommen. Der Monatslohn einer Lehrerin ist ausserdem 200000 Uganda Shillings (50 CHF). Dennoch, trotz all der Schwierigkeiten, sind die Leute irgendwie glücklich. An Sonntagen packen alle ihre schönen farbigen Kleider aus und es wird gesungen und getanzt. Ich werde immer mit offenen Armen empfangen und bin jedes Mal wieder aufs Neue von der Kreativität der Ugander beeindruckt. Man benutzt das, was man hat möglichst gut. Bananenblätter werden zum Kochen gebraucht oder man rollt sie zusammen und legt sie auf den Kopf, sodass es angenehmer ist, schwere Dinge zu tragen. Was zuvor Abfall war, wird von kleinen Jungs zu einem Fussball verarbeitet und die Mädchen basteln afrikanische Puppen aus getrockneten Bananenblättern.

Jiangu, tagenda mu katale (Come, we go to the market)

Jeden zweiten Donnerstag ist Markttag in Kikyusa. Überall haben die Leute auf dem Marktplatz ihre Waren am Boden ausgebreitet. Tomaten, Cassava, Ananas, Mango, Jackfruit, Kleider, offene Gewürze, Teller, Ohrringe, Flaschen und kleine getrocknete Fische werden zu kleinen Bergen gestapelt und lautstark angepriesen. Bei den grösseren Kleiderhaufen hat es jeweils ein Mann, der den Haufen durcheinanderwirbelt, sodass man auch sieht, was es zuunterst des Berges hat. Manche der besseren Kleider sind an bis zu 4 Meter hohen Stangen, wie Fahnen, aufgehängt und flattern im warmen Wind. Die Schuhe, die verkauft werden, sehen recht gebraucht aus. Ein Mann versucht sein bestes und poliert die Schuhe bis zum geht-nicht-mehr. Man muss zudem auch um den Preis feilschen. Ab und zu grinst mich ein bekanntes Kindergesicht an und brüllt: „Hello Teacher Selma!“. Ohne die Sisters wäre ich in dem irgendwie geordneten Chaos völlig verloren.

Kulturelles

Die 36,8 Mi.o Einwohner Ugandas verteilen sich auf mehr als 40 Völkergruppen. Fast zweidrittel der Ugander gehören dem Bantustamm an (vor allem im Süden und Zentraluganda). Der Norden ist vor allem von Niloten und Sudanesen besiedelt. Die Bantus werden in Königshäuser aufgeteilt. Ich bin hier im grössten und wichtigsten Königreich Buganda. Der König (Kabaka) spielt jedoch nur noch kulturell eine Rolle und hat keine politische Macht mehr. Bantus sind sehr familienorientiert und Männer dürfen auch mehrere Frauen haben, wenn sie für diese Sorgen können. Eine Frau geht auf die Knie, um ihrem Mann das Essen zu geben. Ein Schüler geht auf die Knie um einen Lehrer oder eine Sister zu grüssen. Eine Art und Weise, Respekt zu zeigen. Das war mir vor allem in den ersten Wochen total unangenehm und ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt.
Schwiegermutter und Schwiegersohn, sowie Schwiegertochter und Schwiegervater bekommen einander nicht zu Gesicht. Betritt der Schwiegervater den Raum, so muss die Schwiegertochter diesen verlassen. Eine weitere Form von Respekt in dieser Kultur.
Die Lehrer und die Eltern dürfen ihre Kinder schlagen, um sie zu erziehen. Für einen Lehrer wäre es sonst unmöglich 50 7-jährige Kinder zu kontrollieren. Dennoch sträubt sich jede einzelne Zelle in mir, wenn die Kinder so diszipliniert werden.
Kinder werden absolut nicht verwöhnt und müssen sehr schnell im Haushalt mithelfen. Schon 7-Jährige passen auf ihre kleinen Geschwister auf und tragen Babys herum.

ST. Kizito Primary School

Anders als Zuhause in der Schweiz, wo der Lehrer manchmal keinen Schüler findet, der die Antwort sagen will, muss man hier die Kinder bremsen. Fast die ganze Klasse streckt die Hand, um meine Frage beantworten zu wollen. Manche der Kinder stehen oder hüpfen fast und schreien „Me Madam, Me Madam!“.
Der Unterricht wird meist mit einem Lied gestartet, es wird geklatscht, auf den Tischen getrommelt und getanzt.
Singura analala nagischo mojo wazi
We singura we 2x
Tantaritantatata 2x
Ein Lied in Kisuaheli, dass mir eine Lehrerin beigebracht hat. Zu Tantaritantatata lässt man die Hüfte kreisen, dann springt man und klatscht und wiederholt das Ganze. Die kleinen lieben es mit mir zu zeichnen. Ich muss dann einen Elephant, ein Löwe, eine Giraffe und vieles mehr, auf Wunsch der Kinder, an die Wandtafel malen.

Besuch bei Teacher Gabriella

Seit neustem gehe ich an Samstagen bei Teacher Gabriella vorbei. Sie wohnt in einem kleinen Zimmer (3×6 Meter) mit Blechdach und einem pinken Vorhang vor der Türe. Mittlerweile gehe ich die kurze Strecke vom Land der Sisters bis zu ihrem Haus alleine. Was zuvor ein Labyrinth aus heruntergekommenen Häuschen war, ist nun voller bekannter Gesichter und Wohnorte vieler meiner Schüler.
Teacher Gabriella zeigt mir gekonnt, wie man Posho (weisser Maisbrei), in Bananenblätter gewickelt, auf ihrem winzigen Kohleofen kocht. Baraka und Favour, die beiden Söhne von Teacher Sappy wohnen im Moment auch bei Gabriella, da Sappy in Kenia ist. Gestern habe ich den Jungs UNO beigebracht. Es hat zudem sehr stark geregnet. Wenn der Regen auf das Blechdach fällt, hört man seine eigenen Worte nicht mehr. Der Regen drückt zudem auch unter der Türe durch. Wir haben die Schuhe draussen vergessen und die Kinder mussten diese ein paar Häuser weiter, aus dem neu entstandenen Fluss fischen gehen.

Im Mai..

Die Kinder haben nun nur noch Prüfungen und dann sind Ferien. Ich arbeite dann im Health Center der Sisters.

Ich hoffe euch geht es gut in der Schweiz.

Liebe Grüsse aus Uganda
Selma