Daniela in Kambodscha
„Du kannst niemals so viel zurückgeben, wie du bekommst“
Zwei Jesuiten kamen im Jahr 1991 mit zwei Ordensschwestern nach Kambodscha und gründeten 25 Kilometer ausserhalb von Phnom Penh, der Hauptstadt, ein Ausbildungszentrum für Menschen mit einer Beeinträchtigung mit dem Namen «Banteay Prieb» – auf Deutsch: Zentrum der Taube. Idee war es, den unzähligen Kriegsverletzten mit einer Ausbildung einen Weg aus der Armut zu ermöglichen. Seither ist dieses Projekt stetig gewachsen. Viele weitere Projekte im ganzen Land kamen dazu. In Banteay Prieb konnten von 1991 bis heute über 2500 Männer und Frauen mit einer körperlichen Beeinträchtigung eine praktische Ausbildung in den Bereichen Landwirtschaft, Mechanik, Elektronik oder Schneiderei, Phone Repair oder MakeUp & HairStyle absolvieren.
Seit Mai 2015 läuft nun ein wegweisendes Pilotprojekt in Banteay Prieb: Die Special Education Class. Während zwei Jahren erhalten erwachsenen Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung die Möglichkeit sich in den Bereichen Alltagsbewältigung, Landwirtschaft und Coffe-Shop ausbilden zu lassen. Es ist das erste Projekt für Erwachsene mit einer kognitiven Beeinträchtigung im ganzen Land und hat deshalb grossen Pionier-Charakter.
In eine fremde Kultur hineinzuwachsen, ist ein tolles Gefühl
Im vergangenen Jahr hatte ich die grosse Chance, selber ein Teil dieses Projekt zu sein. Während der zweijährigen Ausbildung bekommen die Studenten mit einer kognitiven Beeinträchtigung die Möglichkeit eine Ausbildung zu absolvieren. Im ersten Jahr liegt der Fokus auf alltäglichen Aktivitäten wie waschen, putzen und kochen. Im zweiten Jahr sind dann landwirtschaftliche Tätigkeiten oder Arbeitsabläufe in einem Coffe-Shop Lerninhalt. Meine Aufgabe war es mit den Schülern alltägliche Abläufe wie duschen, waschen, Kleider zusammenlegen, putzen, einkaufen und kochen einzuüben. Ausserhalb der Schulstunden war ich meistens irgendwo auf dem Gelände anzutreffen und verbrachte meine Zeit mit den anderen rund 100 Schülerinnen, welche alle eine körperliche Behinderung hatten. Es war ein tolles Gefühl tief in eine mir fremde, vom Buddhismus geprägte Kultur zu hineinzuwachsen.
Momente der Einfachheit und der Ehrlichkeit
Während meiner Zeit in Banteay Prieb erlebte ich verschiedene tolle Momente, hatte bezaubernde Begegnungen mit Menschen und unvergessliche Gefühlsmomente. Alle hatten sie eines gemeinsame: Sie waren geprägt von Einfachheit und Ehrlichkeit.
So auch an jenem Nachmittag während der Regenzeit, als ich mich mit einer meiner Studentinnen auf dem Weg zu unserem Schulzimmer machen wollte. Ein heftiger Regenschauer durchkreuzte unsere Pläne. Also setzen wir uns auf den kleinen Balkon des Wohnhauses und schauten dem Naturspektakel zu. Dabei nahm sie sanft meine Hand. Zuerst noch etwas scheu, dann immer interessierter untersuchte sie diese. Sie verglich ihre Hautfarbe mit meiner, lachte ab meinem breiten Daumen und fuhr mit ihrem Zeigefinger meinen Lebenslinien auf der Handfläche nach. In ganz einfachen Sätzen, so dass ich es mit meinen beschränkten Khmer-Kenntnissen verstehen konnte, sagte sie mir, dass ich gute und schöne Hände hätte und dies umrahmt mit dem schönsten Lächeln, dass man sich vorstellen kann. Ich wusste in diesem Moment nicht was ich sagen sollte, bedankte mich nur, schon fast peinlich berührt und widmete meinen Blick wieder dem tosenden Regen.
Wenn ich heute an diese Situation denke, bekomme ich fast immer Gänsehaut und realisiere, dass ich in diesem Moment ein Stück Himmel auf Erden erlebt habe.
Sieben Monate ohne fliessendes Wasser
Es gab einige Herausforderungen zu meistern, auch wenn sie im Nachhinein nicht mehr so gross scheinen und alle gut zu bewältigen waren. So stand mir beispielsweise während den sieben Monaten in Banteay Prieb kein fliessendes Wasser zur Verfügung. Geduscht und gewaschen wurde aus einem Trog im Badezimmer. Speziell als dann die Haarläuse meiner Schülerinnen sich auch auf meinem Kopf einnisteten, hätte ich mir gerne mal eine warme Dusche unter einer Duschbrause gegönnt.
Den eigenen Glauben, die Religion und unsere Kirch neu entdecken
Ich pflegte meine Beziehung zu Gott in diesen sieben Monaten so stark wie nie zuvor und entdeckte meinen Glauben, meine Religion und unsere Kirche auf eine neue, positive Art und Weise. Aus diesen Erfahrungen ziehe ich auch heute noch viel Kraft und sie haben mich mit neuem Urvertrauen gestärkt.
Eine tief prägende Erfahrung
Zurückblickend war die Entscheidung in Kambodscha ein Volontariat zu machen, eine der besten Entscheidungen in meinem Leben und hat mich tief geprägt.
Als ich mich in der Schweiz auf mein Volontariat im Rahmen eines Wochenedes mit Voyage-Partage vorbereitete, sagte eine ehemalige Volontärin zu mir: «Während deiner Zeit vor Ort kannst du niemals so viel zurückgeben, wie du bekommst!» Ich verstand ihre Argumentation zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich dachte mir, dass ich durch meine Kündigung, meine Trennung von meinem Freund und meiner Familie, zusätzlich zu meiner ganzen Arbeitskraft doch wirklich sehr viel investiere und konnte mir nicht vorstellen, dass da viel mehr zurückkommen wird. Diese Ansicht musste ich aber schon wenige Wochen nach meiner Ankunft in Kambodscha ändern. So viele positive Rückmeldungen, Geschenke, Einladungen zum Essen – zusammengefasst so viel Liebe und Freundschaft wurde mir entgegengebracht, dass es für mich als Einzelne nicht möglich war, ebenso viel zurück zu geben.